Sie kamen aus dem Morgenland…

Caspar, Melchior und Balthasar – Wer kennt sie nicht die drei sagenumwobenen Gestalten aus dem Morgenland?

Der Ehrentag der Weisen, Magier und Sterndeuter, die aus dem Osten kamen und einem Stern folgten, wird am 6. Januar gefeiert. Das religiöse Hochfest, das als Epiphanias bekannt ist, wird sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen, anglikanischen und orthodoxen Kirche gefeiert.

Doch was haben die Heiligen Drei Könige mit einer Uhr zu tun? Oder besser gesagt mit einem Glockenturm? An einem der berühmtesten Plätze der Welt, dem venezianischen Piazza San Marco (Markusplatz), steht der Torre dell’ Orologio.

Torre dell' Orologio am Piazza San Marco in Venedig

Die astronomische Uhr ist ein Meisterwerk seiner Zeit. Erbaut wurde der Turm in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts. 1493 beschloss der Senat, dass Carlo Zuan Rainieri aus der Reggio Emilia, den Bau der Uhr übernehmen soll. Fertig wurde sie am 01. Februar 1499.

Der Turm spielt eine Schlüsselrolle in der Gesamtstruktur der Stadt, da er ein wesentlicher Blickpunkt entlang der beiden Hauptblickachsen der Fassaden ist (entlang der Merceria oder vom Markusplatz aus). Vom Markusplatz aus ist er ein Triumphbogen und ein Monument, das den Zugang zur wichtigsten Handelsstrasse der Stadt markiert; von der Merceria aus dient er als eine Art Fernrohr, das den Blick auf die Sitze der politischen Macht und das Hafenviertel der Stadt freigibt.

Eine Prozession zu Ehren des Christuskindes

Das Meisterwerk ist in vier Etagen gegliedert, auf die wir später noch eingehen werden, und in eine 1502-1506 angebaute Hausfassade integriert. Vor allem die dritte Etage besticht durch einen Balkon, auf dem zwei Fenster und eine Madonna mit Kind zu sehen sind. Das Besondere daran ist leider nur zweimal im Jahr zu sehen: ein Figurenspiel mit den Heiligen Drei Königen.

Jede Stunde erscheint eine Prozession, die angeführt wird von einem Engel mit Trompete. Ihm folgen Caspar, Melchior und Balthasar, die an Maria und Jesus vorbeigehen, zeitgleich ihre Kronen zum Gruss anheben und sich vor dem Kind verneigen.Im Originalzustand soll die Trompete des Engels wohl auch ein Geräusch von sich gegeben haben, dass durch einen Balg und einer Orgelpfeife erzeugt wurde. Leider ist dieser Mechanismus aber nicht mehr erhalten.

Ursprünglich war es wohl angedacht, dass die Prozession täglich zur vollen Stunde erscheint. Doch der Mechanismus des Figurenspiels war und ist sehr delikat und komplex. So nahm die Häufigkeit der Ausführung über die Jahre hinweg immer mehr ab oder wurde teilweise sogar eingestellt. In der heutigen Zeit ist das Figurenspiel mit den Heiligen Drei Königen, La Processione die Magi, nur noch am 6. Januar und in der Woche von Himmelfahrt zu bewundern.

Die heutigen Könige sind nicht mehr die Originalen aus 1499, sie wurden von Giovanni Battista Alviero im Jahr 1755 den ursprünglichen Figuren nachgebaut. Im Rest des Jahres stehen sie im Glockenturm selbst und die Fenster werden mit zwei Uhrtrommeln gefüllt.

Eine Innovation, die Luigi De Lucia 1858 eingeführt hatte, um den Bürgern auf der Piazza ein sofortiges Ablesen der Zeit zu ermöglichen. Es sind zwei Räder, in die 12 Tafeln (80x50cm) eingelassen sind. Ein Rad zeigt die 12 Stunden in römischen Ziffern und das andere Rad zeigt im 5-Minuten-Intervall die Minuten in arabischen Ziffern an. Die Tafeln sind kobaltblaue Zinkbleche, auf denen die einst nachts beleuchteten Ziffern Weiss markiert sind. Die Hinzufügung führte jedoch auch zum Ausschluss der Prozession. Diese Art der Installation ist die erste in einer öffentlichen Uhr – sozusagen die erste digitale Anzeige der Uhrzeit.

Aufbau des Turms:

 
  1. Zwei zusätzliche Hämmer des 132-Schlagwerks
  2. Die Glocke gegossen von Simeone Campanato im Jahr 1497
  3. Die Bronzestatue eines jüngeren Hirten gegossen von Ambrogio delle Anchore (1497)
  4. Die Bronzestatue eines älteren Hirten mit Bart gegossen von Ambrogio delle Anchore (1497)
  5. Der Markuslöwe
  6. Platz, wo einmal die Statue des knieenden Dogen Agostino Barbarigo (1419-1502) war. Er war der 74. Doge der Republik Venedig (von 1486 bis 1502).
  7. Ädikula mit Madonna und Kind
  8. Fenster mit der Anzeige für die Stunden (Ausgang für die Heiligen Drei Könige)
  9. Fenster mit der Anzeige für die Minuten (Eingang für die Heiligen Drei Könige)
  10. Halterung für die Prozession der Heiligen Drei Könige
  11. Ursprünglich von einem Astrolabium belegte Oculi
  12. Stundenzifferblatt
  13. Erdglobus (Ptolemäisches Weltbild = Geozentrisch)
  14. Drehbarer Kreis mit den Stunden und Anzeigen in Form der Sonne
  15. Drehbarer Kreis mit dem Mond
  16. Drehbarer Kreis mit den Tierkreiszeichen
Der Glockenturm, wie man ihn heute auf der Piazza vorfindet. ©Fondazione Musei Civici di Venezia

Der Lauf der Zeit

Der Turm wird gekrönt von einer Glocke und zwei Hirten: Migliabecco der Jüngere und Oliodoro der Ältere. Sie repräsentieren die Vergangenheit und die Zukunft und erinnern uns daran, wie die Zeit vergeht. Die Bronzestatuen wurden von Ambrogio delle Anchore im Jahr 1497 gegossen und sind rund 2,5 Meter hoch. Durch ihre Materialität oxidiert die Oberfläche und sie wurden bald durch die Venezianer «I Mori» genannt. 

Ihre Körper sind stark und elegant. Sie besitzen eine dynamische Haltung und unterscheiden sich nur durch ein kleines Merkmal – der Ältere besitzt einen ausgeprägteren Bart. Sie markieren die Zeit, indem sie mit ihren Hämmern auf die Glocke schlagen. Doch sie schlagen nicht zeitgleich: Zwei Minuten vor der vollen Stunde schlägt die Statue des Älteren zuerst, um die vergangene Zeit anzugeben. Der Jüngere schlägt die Stunde zwei Minuten später an, um so die kommende Zeit darzustellen. Es sind immer so viele Schläge, wie es Stunden sind. So wird die Glocke also nachmittags um 14 Uhr, 4-mal geschlagen. Je zweimal durch je einen Hirten. So kumuliert sich dies bis Mitternacht auf 132 Schläge. Hier werden alle Schläge zusammengezählt, die die Hirten in den letzten 11 Stunden (also je 66) ausgeführt haben. Alle 12 Stunden, mittags und um Mitternacht, wird die Glocke so vom 132-Schlagwerk geschlagen, dass das Läuten der Sonnenuhr durch zwei zusätzliche Hämmer erzeugt. 

Die Mechanik hinter Glocke, Uhr und Prozession

  • Die Funktionsweise der eigentlichen Uhr
  • Der Mechanismus für die Heiligen Drei Könige
  • Die Trommeln für Stunden und Minuten
  • Das 132-Schlagwerk
  • Der Mechanismus der astronomischen Uhr
  • Der Mechanismus für die Hirten
  • Das Uhrwerk
So sieht die gesamte Mechanik aus. Sie lässt sich in grob vier Abschnitten oder Zügen einteilen. ©Fondazione Musei Civici di Venezia

Kopernikus war noch unbekannt

Ein weiterer Höhepunkt des Turmes bilden die zwei Zifferblätter. Eines ist an der Südfassade, die dem Markusplatz zugewandt ist und eines an der Nordfassade, das zur Merceria blickt.

Der Quadrant beim Marktplatz besteht aus einem festen Teil, der aus einem äusseren Marmorkreis besteht. In diesem sind die Stunden in römischen Ziffern von I bis XXIV eingemeisselt. Dazu kommt ein beweglicher innerer Teil aus blau emailliertem Kupferblech mit vergoldeten Reliefs aus Kupfer, die das zugrunde liegende Holz verkleiden. Dieser Teil lässt sich unterscheiden in einen grossen Ring mit den Tierkreiszeichen und den dazu passenden Sternbildern, den Monatsnamen und der Anzahl der Tage. Einen dünneren Ring, der den Stundenzeiger in Firm der Sonne mit langem Strahl trägt. Einen noch feineren Ring, der den Mond mit goldenen Sternen enthält. Der Mond dreht sich um seine eigene Achse, um so die verschiedenen Phasen darzustellen. Gut sichtbar durch seine halb blaue und halb goldene Färbung. Dazu befindet sich in der Mitte eine innere Scheibe mit der Erde im Zentrum. Das heutige Ziffernblatt ist das Ergebnis einer Vereinfachung des Originals vom Ende des 15. Jahrhunderts, bei dem die Planeten (Saturn, Jupiter, Mars, Venus und Merkur) ebenfalls nach dem ptolemäischen System angeordnet waren, jeder mit einem eigenen Ring, damit er sich unabhängig drehen konnte. 

Das Zifferblatt an der Nordfassade ist schlichter gehalten und besteht aus einem festen Marmorkreis mit eingemeisselten römischen Ziffern und einem mit goldenen Sternen bestreuten Mosaik-Tondo. Im Inneren befindet sich eine bewegliche Scheibe mit flammenden Strahlen aus geprägtem Kupfer. Das Gesicht der Sonne dient zur Anzeige der Stunden. In der Mitte befindet sich der kupferne Markuslöwe, der wohl einst mal vergoldet war, um das Ende der Achse zu verdecken, die die Kraft auf den Uhrzeiger überträgt.

I Temperatore 

Bis 1998 bewohnte ein sogenannter Temperatore, eine Kombination aus Uhrmacher und Turmwächter, mit seiner Familie den Torre dell’Orologio. Der erste Temperatore war Gian Carlo Rainieri, der Erbauer, selbst. Der Senat beschloss, dass er mit seiner Familie im Turm leben konnte und zahlte ihm für den Unterhalt der Uhr ein regelmässiges und festes Gehalt aus. Seither wurde die Uhr sowie das Gebäude selbst mehrfach überholt, repariert und umgebaut. Die letzte Generalüberholung war in den 50er Jahren.

Doch 1996 beschloss die Stadt Venedig eine komplette Restauration der Uhr und wählte dafür das Genfer Haus Piaget aus, welches ab 1997 die Restauration der Uhr leitete. Zum 1. Februar 1999, also zum 500. Geburtstag des Turms, war die Uhr fertig. Die endgültige Restaurierung des gesamten Gebäudes dauerte aber bis 2006 an. Ab diesem Jahr wird die Uhr nun digital überwacht und somit wird auch kein Wächter mehr gebraucht. Der letzte Temperatore, Alberto Peratoner, verliess am 30. März 1998 die Wohnung im Turm, in der er seit seiner Geburt gelebt hatte und beendete damit eine Tradition, die fünf Jahrhunderte überdauert hatte.

Das Video zeigt in guten Detailaufnahmen die Schönheit des Turms. Und wer es schafft an einem 6. Januar oder zur Christi Himmelfahrt in Venedig zu sein, darf sich das Schauspiel der Heiligen Drei Könige nicht entgehen lassen.

 

Literatur: