19. Streitwagen des Telemachos

Sammlung Andreas Ernst

 

Streitwagen des Telemachos

 

Paris, um 1810, Stil Empire
H: 45 cm x B: 49 cm x T: 12 cm

Uhrmacher: Bergmiller à Paris (ca. 1810-1830)
Bronzier: Jean-André Reiche (1752-1817)
Skulpteur: wohl Jean Baptiste Boyer (1783-1835)

Pariser Werk, ½-Stundenschlag auf Glocke, Ankerhemmung

Die feuervergoldete Pendule zeigt Telemachos, Sohn des Odysseus und der Penelope, wie er mir seinem Mentor Athene auf einer Biga losstürmt. Die Kriegsgöttin steht in voller Montur beschützend und antreibend hinter ihm. Erkennbar ist sie an ihrem Helm, dem Schild mit dem Medusenhaupt (Gorgoneion) und einer Lanze.

Die Uhr selbst wurde in die Bronzeplastik einbezogen:
Der Emaille-Ring mit den römischen Stundenzahlen und den arabischen Minuten bildet das Rad und hinter den zwölf Speichen erkennt man Teile des Uhrwerks.

Die Biga mit Löwenkopf steht auf einem rechteckigen Postament, dessen Fries von einem Adler mit Blitzbündel geschmückt wird. Dieser steht für den Gott Zeus, der auch der Vater von Athene ist. Daneben befinden sich Lorbeerkränze mit eingebundenem Schwert und die Eckabschlüsse bilden Liktorenbündel, in denen ein Beil bzw. eine Axt steckt (auch Fasces genannt). Die Symbole, Zeus in Adlergestalt, die Kränze wie auch die Fasces, stehen für Macht und Sieg: Eine beliebte Symbolik während Napoleons Herrschaft.

Originalzeichnung aus dem Jahr 1807 von Jean-André Reiche (1752-1817). Angeschrieben als «Char de Télémaque». Befindet sich heute in der Bibliothèque National de France, Paris. ©BnF
Hotel De M. J. Onfroy de Breville, Villa Guibert, No. 18, à Paris. Vue d'ensemble du Grand Salon.

Die beliebte Uhr hat ihren Platz, wie auf dem Bild links erkennbar, oft in einem Grand Salon gefunden. Die Geschichte des Telemachos war zur Zeit des Empires sehr beliebt gewesen.

Wir haben einmal Homer’s Odyssee als Grundlage: Telemachos wird von den Göttern überredet seinen Vater zu suchen, als dieser nach dem Trojanischen Krieg nicht mehr nachhause zurückkehrte. Allerdings versuchte seine Familie ihn davon abzuhalten, da erschien Telemachos Athene als Mentor und half ihm aufzubrechen.

Eine zweite Schrift, die zur Zeit des Empires weit verbreitet war, war «Les Aventures de Télémaque» vom französischen Erzbischof François Fénelon (1651-1715).  Dieser fiktiver Roman übernimmt einige der Themen aus der Odyssee.

Darin skizziert Fénelon den idealen Fürsten und schickt für diese Erkenntnis Telemachos auf verschiedene Abenteuer. Fénelon führt seinen Protagonisten mit seinem Lehrer Mentor, alias Athene, durch diverse antike Staaten, die meist durch Schuld ihrer herrschenden Oberschicht ähnliche Probleme aufweisen, wie das Frankreich am Ende des 17. Jahrhunderts mit seinem absolutistischen König Ludwig XIV. Sein Fürst hingegen ist weitsichtig, sparsam, gottesfürchtig und das Wohl seines Volkes ist das höchste Gut, dass es zu bewahren gilt.

Fénelon schrieb dieses belehrende Werk als Erzieher des siebenjährigen Enkels und möglichen Thronfolger von Ludwig XIV. Dass dieses Gedankengut nicht zum herrschenden höfischen Absolutismus passte, sorgte, nach der Veröffentlichung des Buches im April 1699, für seine Verbannung vom Hof. Seine Schriften fanden aber weiterhin grosse Verbreitung. Im 18. und 19. Jahrhundert galten «Die Abenteuer des Telemachos» zudem als wichtiger Markstein der beginnenden Aufklärung. 

Dazu standen Helden, vor allem aus der römischen Antike, in der Zeit des Empires (um 1804-1814) hoch im Kurs. Ob man die Symbolik immer mit den gegenwärtigen politischen Gegebenheiten in Beziehung setzen kann, ist schwierig zu beantworten. Dennoch wurden bei den Pendulenplastiken, wie auch bei der Malerei aus dieser Epoche, gerne bis fast ausschliesslich Themen aus Mythos und Geschichte der Antike gewählt. Es ist interessant zu beobachten, dass nur zur Zeit von Napoleons Herrschaft, der Adler als Ornament auf dem Sockel angefertigt wurde. In der Zeit nach Napoleon (Restauration) findet sich eine mythologische Szene anstelle des Adlers. 

Ein Leipziger in Paris

Der berühmte Bronzeur, der die Vorzeichnung zu dieser Pendule angefertigt hat, stammte aus Leipzig. Jean-André Reiche (1752-1817), Sohn eines Leipziger Cafébesitzers, liess sich während der Regierungszeit von Louis XVI in Paris in der Rue Notre-Dame-de-Nazareth nieder. 1785 wurde ihm die Meisterwürde verliehen und er wurde als Gründungsmeister aufgenommen. In seiner Werkstatt spezialisierte er sich auf die Herstellung von Uhrengehäuse. Jeder Aspekt einer Pendule konnte hergestellt werden: Ein Team von Handwerkern, von Modellierern, Giessern und Ziseleuren bis hin zu Marmorarbeitern arbeiteten für ihn. Sein Ansehen wuchs sofort als Marchand-fabricant de bronzes und als Lieferant des Kaisers. Als er starb, hinterliess er sein Geschäft seinem Sohn Jean Reiche. Seine Entwürfe für Pendulen zählen heute zum Bestand des «Cabinet des Estampes» der Bibliothèque Nationale de France. 

Literatur:

  • Tardy, «La Pendule Française», 2ème Partie: Du Louis XVI à nos jours. 1969, S. 377, Fotografie einer gleichaussehenden Pendule.  
  • Elke Niehüser, «Die französische Bronzeuhr», 1997, S. 69, 98-100 Abbildungen einer ähnlich aussehender Pendule: Die Pferde sind hier aus dunkel patinierter Bronze, S. 243, 912.
  • Bernard Chevallier & Claude Seguin, «La mesure du temps dans les collections du musée de Malmaison», catalogue, 1992. S. 21, 12. Pendule Char de Télémaque.
  • J. Ramon Colon de Carvajal, «Catalogo de Relojes del Patrimonio Nacional», Madrid 1987, S. 150.