18. Jason raubt das Goldene Vlies

Sammlung Andreas Ernst
 
 
Jason raubt das Goldene Vlies
 
 
Paris, um 1810, Stil Empire
H: 62 cm x B: 40 cm x T: 19cm
 
Uhrmacher: Lesieur à Paris
Bronzier: wahrscheinlich Pierre-François Feuchère (1737-1823), Meister ab 1763
 
Sockel «Vert de Mer» Marmor, Gehäuse Bronze feuervergoldet, Pariser Werk mit Fadenaufhängung und ½-Stundenschlag auf Glocke

Bei der feuervergoldeten und teils brünierten Bronzefiguren handelt es um eine Szene aus der Legende von Jason und dem Goldenen Vlies. Sie zeigt just den Moment, wo Jason das Goldene Vlies an sich nimmt. 

Der Anführer der Argonauten steht vor einem Baumstumpf und greift mit seiner linken Hand nach dem über einem Ast hängenden Fell des Chrysomeles – ein goldener Widder, der fliegen und sprechen konnte. 

Zu Jason’s Füssen liegt der schlafende oder der erstochene Drache, je nach Legende, der das Vlies bewachen sollte. Das Uhrwerk selbst ist hinter dem Schild verborgen, das an den Baumstumpf angelehnt ist. Zwischen Schild und dem schlafenden Drache ist eine kunstvolle Draperie, die den Mantel des Jason darstellt. Die ganze Skulpturengruppe steht auf einem rechteckigen Sockel aus grünem Marmor, dem sogenannten «Vert de Mer», der von feuervergoldeten Bronzefüssen in Form von Löwentatzen getragen wird. 

Schmidt, Martin Johann, genannt Kremser Schmidt (1718–1801). «Der Raub des Goldenen Vlieses», 1780, Ölgemälde. ©Graz, Johanneum Museum.

Jason, das Vlies, der Drache, das Schild sowie die Draperie sind aus feuervergoldeter, der Baumstumpf aus brünierter Bronze gearbeitet. Das Schild selbst ist mit Breguetzeigern geschmückt und zeigt die Stunden mit römischen Ziffern an. Die Aufzugslöcher liegen hier aussergewöhnlich nah beieinander, damit wohl die Szenerie auf dem Schild nicht zerstört wird. Normalerweise liegen sie weiter auseinander. Aus diesem Grund erfolgt der Aufzug des Federhauses bei der Uhr über ein Zwischengetriebe, sodass sich am Werkaufbau keine Änderungen ergeben.

In der Literatur wird die Szene auf dem Schild unterschiedlich gedeutet, mal wird von Jason und Medea geschrieben, dann von Diana und Mars und manchmal sogar von Athene und Bellona. Sichtbar ist auf jeden Fall eine Frau, die einen Olivenzweig in der Hand hält und eine weitere Figur in einer römischen Rüstung mit dem Gorgoneion. Die Attribute sprechen daher für eine Interpretation von Diana und Mars oder Athene und Bellona: Beide Gruppen widerspiegeln so Frieden (Diana, Athene) und Krieg (Mars, Bellona).

Statue der römischen Kriegsgöttin Bellona, 1770. Vom deutschen Rokoko Bildhauer Johann Baptist Straub (1704-1784).

Insgesamt sind momentan durch Bilder und Literatur 13 Uhren nachzuweisen, die sich nur in kleinen Details, wie das Schild oder der Maserung im Marmor, unterscheiden. Was bei allen jedoch heraussticht, ist die ausserordentliche Qualität der Bronzearbeiten. Die Uhr spielt nur eine untergeordnete Rolle, im Fokus steht mit Sicherheit die Skulptur.

Formenkanon der Antike

Der Gesichtsausdruck, die Körperspannung, die Drehung, kraftvoll und doch bewegt, sind für den Betrachter mühelos wahrnehmbar. Man kann die Anspannung von Jason, kurz bevor er das Vlies ergreift, förmlich spüren. Bis ins kleinste Detail ist der Körper und die Rüstung geformt.

Aber nicht nur Jason hat viel künstlerische Liebe erhalten, auch das Fell des Chrysomeles besticht durch die kräftigen, wilden Locken. Die Hörner, sein Gesicht, sein gesamter Kopf zeugen vom anatomischen Wissen des Bildhauers. Für den Betrachter wird es offenkundig, dass der Widder einst ein wunderschönes, kräftiges und stolzes Tier gewesen sein muss.

Die gesamte Komposition der Skulpturen ist geschickt angeordnet. Der Erschaffer führt den Blick vom Schwert des Jason’s über seinen linken Arm zum hängenden Widderfell und von dort zum Drachen, weiter zum Mantel und erst ganz zum Schluss zum Schild mit dem Zifferblatt.

Wunderbar hebt sich dann im Hintergrund der brünierte Bronzebaum ab. Es gibt noch weitere Exemplare dieser Skulpturengruppe, bei welcher der Baum auch feuervergoldet ist. Hier allerdings bildet die Brünierung einen lebendigen Kontrast zur Feuervergoldung und hebt so die vordere Figurengruppe nochmals deutlich hervor. Man könnte meinen, die Worte aus den Metamorphosen von Ovid (Met. VII, 149ff.) hätten Gestalt angenommen. 

König ohne Königreich

Der Legende nach war Jason der Sohn von Aison, eines Königs von IoIlkos, das in Thessalien lag. König Aison wurde aber von seinem Halbbruder Pelias entthront. Da die Königin, die Mutter von Jason, ihren Sohn schützen wollte, täuschte sie seinen Tod vor und schicke ihn zum Kentauren Chiron in die Erziehung. Als Jason erwachsen wurde, wollte er seinen Anspruch auf den Thron geltend machen und zog Richtung Hauptstadt zu König Pelias.

Dort angekommen, erklärte sich Pelias bereit den Thron aufzugeben, aber unter einer Bedingung: Jason sollte ihm das Goldene Vlies des Chrysomoles bringen. Natürlich hoffte er, dass Jason bei diesem Unterfangen ums Leben kommen würde. Jason liess daraufhin die Argo bauen und sammelte die glorreichsten Helden Griechenlands um sich. Die Argonauten machten sich auf nach Kolchis, wo das Vlies bei König Aietes im Hain des Ares aufbewahrt wurde.

In Kolchis angekommen, musste Jason einige schwierige Aufgaben bewältigen, die König Aietes von ihm im Tausch für das Vlies verlangte. Medea, die zauberkundige Tochter des Königs, verliebte sich in den Helden und half ihm bei allen Aufgaben. Der König rückte das Vlies, obwohl Jason alle Anforderungen erfüllt hatte, nicht heraus und so mixte Medea einen Zaubertrank, um den Drachen, der das Vlies im Hain des Ares bewachte, zum Schlafen zu bringen. Während der Trank wirkte, konnte Jason das Vlies vom Baum stehlen und bedeckte es mit seinem Mantel. Zusammen mit Medea und seinen Gefährten flüchtete er umgehend zurück nach Griechenland. Jasons Hoffnung, als Lohn für das Goldene Vlies den Thron von König Pelias zu besteigen, um dessentwillen er die gefahrvolle Fahrt unternommen hatte, erfüllte sich leider nicht.

Feuchère oder Ledure

Die Komposition, die durch ihre Qualität besticht, kann auf die bekannten Künstler Pierre-François Feuchère (1737-1823) oder Pierre-Victor Ledure (1783-1840) zurückgeführt werden. Die Namen sind auf den Zifferblättern der bisher aufgearbeiteten Pendulen eingraviert. Beide Namen gehören zu den grössten Werkstätten zur Herstellung luxuriöser, feuervergoldeter Bronzeobjekte.

Feuchère betrieb zusammen mit seinem Sohn Lucien-François (1784-1824) eine der bekanntesten Werkstätten. Vor allem seine Uhrgehäuse und Kandelaber waren in den 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts sehr beliebt. Er belieferte den Hof von Ludwig XVI., später Napoleon und auch Mitglieder der deutschen, russischen und spanischen Höfe. Er ist vergleichbar mit dem berühmten Bronzier Pierre-Philippe Thomire (1751-1843).

Die Pendule, die Pierre-Victor Ledure zugeschrieben wird, besitzt nicht die künstlerische Qualität der Feuchère Variante. Wie auf dem Bild rechts gut zu erkennen ist, harmonisieren die Proportionen, die Bewegung und die szenische Umsetzung nicht sehr. Eindeutige Belege, aus welchem Hause nun die erste Uhr stammt, sind nicht erhalten. Aufgrund der früheren Interpretationen und Auslegungen in der Literatur, wird davon ausgegangen, dass sie aus der Werkstatt von Pierre-François Feuchère stammt. 

Im Musée Malmaison bei Paris ist eine weitere Jason Pendule, die zwar nicht mehr das Originalwerk besitzt, aber die gleiche Qualität aufweist, wie die anderen Pendulen. Die Provenienz lässt sich nicht ganz rekonstruieren, aber ein Beleg vom 29. Januar 1829 zeigt auf, dass die Uhr einst über das Haus Feuchère gekauft wurde.

Ob nun Feuchère oder doch Ledure, eins bleibt allen gemeinsam: Es sind wahrlich Kunstwerke von sehr hoher Qualität, die durch Ausdrucksstärke und Detailverliebtheit überzeugen – und das auch noch rund 200 Jahre später.

Jason und das Goldene Vlies von Pierre-Victor Ledure, 1815.
Jason und das Goldene Vlies von Pierre-Victor Ledure, 1815.

Literatur:

  • Elke Niehüser, «Die französische Bronzeuhr», 1997, S. 64, Bild 91.
  • Hans Ottomeyer & Peter Pröschel, «Vergoldete Bronzen. Die Bronzearbeiten des Spätbarocks und Klassizismus.»
    München, 1986, vol. 1, S. 351, pl 5.7.6. 
  • Pierre Kjellberg, «Encyclopédie de la Pendule Française du Moyen Age au XXe siècle», Paris, 1997, S. 413, pp.362-3.
  • Bernard Chevallier, «Decors d’Empire», Paris, 2008. S. 34.
  • J. Ramon Colon de Carvajal, «Catalogo de Relojes del Patrimonio Nacional», Madrid 1987, S. 186, 239, 284, pl. 166.
  • Odile Nouvel, «Symbols of Power, Napoleon an the Art of the Empire Style 1800 – 1815», Nr. 81. 
  • Bernard Chevallier, Claude Seguin, «La Mesure du temps. dans les collections du Musée de Malmaison», Paris, 1991. S. 26, Abschnitt 17, Bild 17.