13. Au Temps couché

Sammlung Andreas Ernst

 

 

Au Temps couché

 

Paris, um 1690, Stil Louis XIV
H: 112 cm x B: 40 cm x T: 19 cm

Uhrmacher: Everard à Paris 

Reich verzierte Pendule Religieuse mit vielen Bronzebeschlägen und feiner Boulle-Marketerie, Pariser Werk, ½-Stundenschlag auf Glocke, Spindelhemmung, Gelegenheitsschlag, Regulierung vorne. 

Die Pendule «au Temps couché» besticht durch ihre feine Boulle-Marketerie auf rotem Schildpatt. Auffallend schön ist die reichliche Verzierung durch Karyatiden, Waffentrophäen, Löwengesichter und Mäuler, Akanthusblätter und Blüten, Masken und Ranken. Diese sind aus graviertem Messing und vergoldeter Bronze hergestellt. Das Uhrwerk von Everard in Paris hat ein vergoldetes Bronzezifferblatt mit einer Rosette und Kartuschen aus Emaille. Diese zeigen die Stunden in römischen Ziffern an und die Minuten sind in arabischen Zahlen eingraviert.

Am spannendsten sind die zwei Figuren, die einmal auf dem Hut sitzen und als Relief unterhalb des Zifferblattes dargestellt werden. Beide Personen sollen Chronos, den Gott der Zeit, darstellen. Sie sehen sich ähnlich, sind aber nicht exakt gleich. Vielleicht wird der Gott der Zeit hier in verschiedenen Phasen oder Personifizierungen dargestellt.

Kronos oder Chronos?

Die Figur auf dem Hut der Pendeluhr wirkt jünger, athletischer, noch mit vollem Haar und hält eine Sense. Die liegende Person ist deutlich älter, hat mächtige Flügel und hält eine Sanduhr in seiner rechten Hand. Mit seiner linken Hand trägt er das Zifferblatt. Zu seinen Füssen sitzt ein Puti oder ein kleiner Armor mit den Attributen der Wissenschaft.

Chronos, wie er oft mit Sense und Sanduhr dargestellt wird, beruht nicht auf antiken ikonographischen Vorbildern. Diese Darstellungsweise stammt ca. aus dem 14. Jahrhundert. Erst seit dann existieren Sanduhren als Zeitmessgerät. Chronos war eine abstrakte Vorstellung von Zeit und kein fester Bestandteil des griechischen Olymps. Erste Darstellungen von ihm, noch ohne Bart aber mit Flügeln, stammen aus hellenistischer Zeit.

Wen es aber im griechischen Götterhimmel gab und deswegen später oft mit Chronos gleichgesetzt wurde, ist der Titan Kronos.  Nach den Überlieferungen des Hesiods war Kronos, ein Sohn von Uranos und Gaia. Er war Anführer der Titanen, Vater von Zeus und den Kroniden. Ihm entspricht in der römischen Mythologie Saturnus, der Planetengott.

Wir haben also auf mythologischer Ebene drei Gestalten, die miteinander verfliessen und unterschiedliche Aspekte darstellen. Wir haben einen Gott der Zeit, einen Gott des Ackerbaus und einen Planetengott. Gemeinsam ist ihnen allerdings ihr Wesen, das von Gegensätzen geprägt ist. Die Geschichtsschreibung nennt ihn tückisch und gewalttätig. Er verstümmelt seinen Vater, verspeist seine Kinder und sperrt seine Geschwister ein. Doch andererseits gilt Saturn auch als Kulturbringer, er führt die Menschheit in die Zivilisation, indem er ihnen den Ackerbau beibringt. Er gilt als friedfertig, wohlwollend und gründet das goldene Zeitalter.

Der Aspekt der Zeit, des Chronos also, der Kronos/Saturn übergestülpt wird, bemerkt als erstes Plutarch (45-125 n. Chr.). Später beschreibt Macrobius Ambrosius Theodosius (385/390-430 n. Chr.) in seinen Saturnalien, dass es im Chaos keine Zeit gab, denn Zeit sei ein bestimmtes Mass, das man dem Umlauf des Himmels entnehme. Der Himmel zeugte K./Chronos, und erst mit ihm kam die Zeit in die Welt. Die Sichel sei ein Zeichen dafür, dass die Zeit alles misst, ausschneidet und einschneidet. Ihre Krümmung veranschauliche, dass alle Zeiten in sich zurücklaufen. Auch dass er seine Kinder verschlingt und sie wieder ausspuckt, zeige ihn als Zeit, welche doch abwechselnd alles hervorbringt, dann fortnimmt und schliesslich wiedergebiert. Dass der eigene Sohn ihn vertreibt, sei ein Zeichen dafür, dass die alternde Zeit, von der ihr folgenden abgelöst wird. Macrobius nennt Kronos/Chronos auch «Urheber der Zeit». Daran schliesst auch der Gedanke, dass er sich gleicherweise als Greis und Knabe vorstellen lasse, weil das Jahr im Winter altert und im Frühling sich wiederbelebt. Als Gott des Ackerbaus ist er Urheber von Frucht und Ernte.

Diese Malerei von Rubens zeigt den Gott Saturn, als er gerade einer seiner Sohne verspeist. Gemalt zwischen 1636 und 1638. Heute in Madrid im Prado zu sehen.
Kaminplatte mit einer Darstellung des Chronos. ©Volkskunde- und Freilichtmuseum Roscheider Hof / Helge Klaus Rieder (CC0)

Gebrechlich und mürrisch

Als Planetengott wird er oft als dunkel, melancholisch, kalt, trocken und verbrecherisch angesehen. Mit ihm kommen hohes Alter, tiefste Armut und Tod. Er wird vorwiegend als negativ wahrgenommen, nur ab und an kommen Interpretationen, die ihn auch als Hüter der Weisheit und als Patron der Künste darstellen.

Doch eins der Attribute teilen sich alle drei Personen, und zwar die Sichel. Die Flügel hingegen charakterisieren Kronos erst als Chronos und somit als Personifikation der Zeit. Meistens hat er dazu noch ein Stundenglas bzw. Sanduhr. Die Flügel beruhen auf einem ikonographischen Vorbild in der antiken Darstellung des Kairos, des flüchtigen Augenblicks. Somit liegt die Interpretation der flüchtigen Zeit also der Vergänglichkeit auf der Hand. 

Kreislauf des Lebens

Wenn wir nun unsere Pendule betrachten, sehen wir, meiner Meinung nach, verschiedene Aspekte der Zeit verkörpert. Oben erscheint er uns als gestandener Mann ohne Flügel und kann so als einen Kronos-Saturn gesehen werden: Als Gott des Ackerbaus, der Frucht und Ernte bringt, aber auch ein Goldenes Zeitalter. 

Chronos, der uns unter dem Zifferblatt entgegentritt, ist die gealterte Zeit, die sich hinlegt und ausruht – «au Temps couché». Er legt sich auf ein Bett oder eine Sänfte, die von ägyptischen Sphingen getragen wird. Im 18. und Anfang 19. Jahrhundert galten die Sphingen in der europäischen Kunst als Symbol für die Ewigkeit, Unsterblichkeit und auch Rätselhaften.

 
Die Pendule zeigt uns in wunderbarer Form den Kreislauf des Lebens auf: Wir werden geboren, stehen im Mittelpunkt und im «Saft» unseres Lebens, verwelken langsam und gehen so in die Ewigkeit ein – bis Alles wieder von vorne beginnt. Der Puti oder Amor zeigt, dass mit dem Alter und der Lebenszeit auch die Weisheit und das Wissen kommen mag. Denn die Klugheit bedarf der Zeit. Mit ihr kommt die Ruhe und die Einsicht, dass der Kreislauf immer seinen Weg findet.  Die Sphingen zeigen deutlich auf die Ewigkeit hin und auch die Materialität der Pendule Religieuse unterstreicht diesen Gedanken.
 

 

Literatur:
  • Hans-K. & Susanne Lück, «Antike Mythologie: Ein Handbuch. Der Mythos und seine Überlieferung in Literatur und bildender Kunst.», Marix Verlag GmbH, Wiesbaden, 2005. S. 508-518. Abschnitt Kronos.  
  • Tardy, «La Pendule Française», 1ère Partie: Des origines au Louis XV. 1969. S. 79-127, Kapitel: La Pendule Religieuse. 
  • Reinier Plomp, «Early French Pendulum Clocks, 1658-1700, known as Pendules Religieuses.», Interbook International, Schiedam, 2009.