2. L’Oubli du Temps

Sammlung Andreas Ernst

 


L’Oubli du Temps

Paris, um 1810, Stil Empire
H: 50 cm x B: 34 cm x T: 16 cm

Bronzier: Claude Galle (1759-1815, maître bronzier (ab 1786)) und sein Sohn Gérard Jean oder Modell von Lepage et Cie, nach dem Sculpteur: Simon-Louis Boizot (1784-1809)

Feuervergoldete und brünierte Bronze, Sockel aus «Vert du Mer» Marmor, Pariser Werk, ½-Stundenschlag auf Glocke, Zifferblatt bestehend aus zwei sich drehenden Reifen mit Emailplättchen. Oben klein mit allen 5 Minuten in arabisch, unten mit den römischen Ziffern 1-12. 

Auch diese Pendule besticht durch ihre eigenwillige Anzeige der Uhrzeit. Vom Typus ist sie wie die L’Amitié aufgebaut. Eine halbnackte Schönheit bedeckt mit einem Tuch die Zeit. Dem Betrachter bleibt eine kleine Öffnung, die die Uhrzeit anzeigt. Zwei Emailringe, einmal mit arabischen Nummern für alle fünf Minuten und einmal einen Ring mit römischen Ziffern von Eins bis Zwölf. Der Cercle Tournant dreht sich von links nach rechts und so lässt sich die Zeit dann auch ablesen. 

Über dieses Modell liegen uns Aufzeichnungen vor, die das Sujet der Pendule beschreiben: «La Beauté nous montre les fleurs du Printems, et jettant un voile sur les heures de la Vie, nous porte à l’oubli du tems». Das P fehlt hier, weil es sich um Altfranzösisch, gerne auch noch im 18.-19. Jahrhundert benutzt, handelt. Übersetzt bedeutet dies: Die Schönheit zeigt uns die Blumen des Frühlings, und indem sie einen Schleier über die Stunden des Lebens wirft, bringt sie uns dazu, die Zeit zu vergessen. 

Auf dem Spruchband im Sockel, das von zwei weiblichen Figuren gehalten wird, steht: «L’Oubli du Tems». Es geht auch hier, um das Vergessen der Zeit. Eine andere Interpretation in der Literatur spricht davon, dass die Dame einen Siegeskranz hält und somit an den Ruhm erinnert, der die Zeit überdauert. 

Diese Pendule wurde bis anhin Claude Galle (1759-1815) zugeschrieben und soll 1806 an der vierten Ausstellung «Exposition des produits de l’industrie française» präsentiert worden sein. Im Bericht der Jury zur Ausstellung wird sie wie folgt erwähnt: «Parmi les pendules présentées par M. Galle, celle où une femme voile un cadran et ne laisse apercevoir que l’heure marquée par la pendule mérite d’être distinguée, parce qu’elle présente une idée agréable et raisonnable, mérite assez rare dans ce gerne d’ornemens.» Die Literatur ist sich hier aber uneinig, bzw. liegt eine Verwechslung vor. 

Stich von Galle mit dem Modell «L'Oubli du Temps» von 1809. ©Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes, Le 30.
Das Spruchband auf dem Sockel der Pendule mit der Inschrift: «L'Oubli du Tems».
La Petite Cacheuse d'Heures, 1811, Modell nach Claude Galle.

 Wirklich Claude Galle oder doch nicht?

 
Die Erwähnung oben ist aber ungenau. Es beschreibt zwar eine Cacheuse d’Heures, aber es fehlt die Beschreibung des Kranzes. Sie beschreibt nur eine Frau, die ein Zifferblatt verhüllt und so nur die von der Uhr markierten Zeit erkennen lässt. Diese Beschreibung passt allerdings viel besser zu einer anderen Cacheuse: Es existiert eine weitere Variante, die nennt sich «La Petite Cacheuse d’Heures», version 1811, diese stammt von Claude Galle. Sie besteht aus vergoldeter Bronze und aus Marmor Griotte d’Italie, und hat folgende Masse: H: 51 cm x B: 34,5 cm, T: 19,5 cm. Sozusagen die kleine Schwester der L’Amitié, mit der Galle 1806 die Silbermedaille gewonnen hatte. 
 
Doch ein weiterer Artikel, der am 11. April 1809 im Journal de Paris publiziert wurde, weisst wiederum auf die L’Oubli du Temps-Pendule hin: «Il s’en trouve un, dans le magasin de M. Galle, reu Vivienne, remarquable par la simplicité, le gracieux et l’élégance de la composition, non moins que par son intention ingénieuse : il offre une belle femme debout, à demie voilée par une draperie légère. De la main gauche appuyée sur le cercle horaire, elle tient une couronne de fleurs, emblème du printemps de la vie ; de l’autre elle s’efforce de cacher l’heure à la vue. On devine aisément le sens de cette allégorie : c’est le plaisir qui vient dérober à la jeunesse la fuite du temps. L’allusion pourrait être plus morale et plus sage ; il serait difficile qu’elle fût plus spirituelle et plus jolie.»  Hier wird eine Pendule beschrieben, die sich im Laden von Herrn Galle befindet und durch ihre Raffiniertheit besticht: Eine junge Frau, die die Zeit verhüllt und einen Blumenkranz hält, das Emblem des Frühling des Lebens. Die Bedeutung dieser Allegorie lässt sich leicht erraten: Es ist das Vergnügen, dass für die Jugend das Vergehen der Zeit langsamer ist.

Der Autor des Artikels schrieb die Urheberschaft des Modells aber Simon-Louis Boizot (1784-1809) und nicht Claude Galle zu. Simon-Louis Boizot war zu seiner Zeit ein bekannter Bildhauer in Paris und Rom. Er erhielt kaiserliche Aufträge von Katharina II. von Russland, aber auch das französische Königshaus bestellte bei ihm Skulpturen und Büsten. Später war er auch bekannt für seine kleinen allegorischen Modellen.

Die Idee dieses Sujet ist aber nicht neu. Schon 1802 berichten Besucher eines Hotels von einer Pendule aus weissem Marmor, die eine Frau repräsentiert, die die Stunden mit ihrem Schleier verhüllt. Es ist also sehr schwer, den Urheber dieses Sujet zu ermitteln. Was allerdings belegt ist, und Bernard Chevallier auch aufgezeigt hat, ist der signierte Stich der L’Oubli du Temps-Pendule von Claude Galle, der sich seit dem August 1809 in der Bibliothèque nationale befindet. Wahrscheinlich war Galle daher nicht der Uhrheber, sondern hat die Pendule mit seinem Geschäft gut vermarktet. Die zwei anderen Cacheuses sind eindeutig Galle zuzuordnen und gerade die Amitié gehört ohne Zweifel zu ihm. 

Doch die Frage, wem nun die L’Oubli du Temps zuzuschreiben ist, bleibt noch ungeklärt. Jean-Dominique Augarde spricht in seinem Aufsatz «Bronzes et bronziers sous le Directoire et L’Empire» von 2005 davon, dass unveröffentlichte Dokumente aufzeigen, dass sie der Firma Lepage et Cie an der 58 Rue Meslay gehörte. Die Firma wurde unter dem Kaiserreich gegründet und war 1815 noch immer aktiv. Sie hatte sich auf Vergoldungen und Bronzeartikel, Möbel und Waren aller Art spezialisiert.  

Ob wir sie nun Galle oder Boizot zuordnen möchten, eins bleibt sicher, die Pendule lädt zum Verweilen ein und lässt die Zeit so wahrlich in den Hintergrund treten. 

Literatur:

  • Ernest Dumonthier, «Les Bronzes du Mobilier National. Cartels et pendules» Paris, S. 17,  pl 38 n°2, Composition de Galle (1807).
  • Pierre Kjellberg, «Encyclopédie de la Pendule Française du Moyen Age au XXe siècle», Paris, 1997, S. 401.
  • Hans Ottomeyer & Peter Pröschel, «Vergoldete Bronzen. Die Bronzearbeiten des Spätbarocks und Klassizismus.» München,
    1986, vol 1, S. 369.
  • Bernard Chevallier, Claude Seguin, «La Mesure du temps. dans les collections du Musée de Malmaison», Paris, 1991. S. 17-18, Abschnitt 9, Bild 9b.
  • Elke Niehüser, «Die französische Bronzeuhr», 1997, S. 230, Abbildung 655.
  • Jean-Dominique Augarde, «Bronzes et bronziers sous le Directoire et l’Empire», Aufsatz in der Zeitschrift L’Estampille/L’Objet d’Art, Nr. 398, Januar 2005, S. 62-85. Abb. 25,26,27 S.79+80.
  • Le Normand et Moléon, «Description des Expositions des produits de l’industrie française faites à Paris depuis leur origine jusqu’à celle de 1819 inclusivement», Paris, 1824. 
  • Marie-France Dupuy-Baylet, «Les Pendules des lendemains de la Révolution», L’Estampille/L’Objet d’Art, Nr. 324, Mai 1998, S. 54-65.