Als die Zeit fliessen lernte

Dass die Zeit in der Antike mit Hilfe einer Sonnenuhr gemessen werden konnte, ist allgemein bekannt – doch wie mass man die Zeit in der Nacht oder bei bewölktem Himmel? Hier kommt ein anderes Element ins Spiel: das Wasser!

Die ersten Erwähnungen einer technisch ausgereiften Wasseruhr stammen aus einer Grabinschrift der 18. Dynastie des alten Ägyptens (ca. 1550 Bis 1070 v.Chr.). Die älteste erhaltene Wasseruhr ist rund 200 Jahre jünger und stammt aus der Zeit des ägyptischen Königs Amenophis III (1388-1351 v.Chr.).  

Bereits Ende des 3. Jahrtausends vor Christus waren Wasseruhren nachweislich schon in Mesopotamien bekannt. Weitere Exemplare aus Ägypten stammen aus der hellenistischen Epoche (ca. 336 bis ca. 30 v. Chr.). Sie breiteten sich auch weiter aus und sind belegbar in Assyrien, aber auch China, Rom und Griechenland. Aber auch in weiteren Teilen der Welt entstanden immer komplexere Wasseruhren und waren bis weit ins Mittelalter vor allem in Klöster gebräuchlich. Im Barockzeitalter, so ab 1660, erlebten die Wasseruhren nochmals eine Renaissance. Bis heute werden immer mal wieder Wasseruhren hergestellt, aber eher als Gegenstand von künstlerisch-dekorativen Schaffens, da ihre Genauigkeit doch eher moderater Natur ist. 

Die Klepsydra von Karnak besteht aus Kalzit-Alabaster und gehört zum Typus der Auslaufuhren. ©Ägyptisches Museum Kairo

Das Verrinnen der Zeit

Die Wasseruhr aus Kalzit-Alabaster wurde 1904 in vielen Stücken zerbrochen im Bereich des Amun-Tempels in Karnak gefunden. Heute steht das Zeitmessinstrument im Museum von Kairo, wo sie auch wieder komplett zusammengesetzt wurde.

Sie hat die Form eines Kreiskegelstumpfes von 34,6 cm Höhe mit einem oberen Durchmesser von 48,5 cm und einem unteren Durchmesser von 26 cm. Unten befand sich der Auslauf. Dort tropfte das Wasser in regelmässigen Abständen aus dem Lauf in ein anderes Gefäss. So wurde bei einem sinkenden Wasserpegel das Verrinnen der Zeit angezeigt.

Dieser Typus Uhr wird als Klepsydra bezeichnet. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet «Wasserdieb». Er wurde in Griechenland und in Rom vom Ende des 5. Jahrhunderts vor Christus vor allem bei Gericht zur Einteilung der Redezeit eingesetzt. Wenn die Wasseruhr leer war oder ein bestimmter Stand erreicht wurde, wusste der Redner, dass seine Zeit nun um ist.

Riten und Opfer

 

Der Vorteil der Wasseruhr lag darin, dass sie zu allen Zeiten ablesbar war, da man nicht auf die Sonne angewiesen war. Daher nutzen die Priester im Tempel sie gerne, um rechtzeitig mit ihren Ritualen und Opfer-Darbringungen zu beginnen. Es mussten auch zu bestimmten Zeiten gewisse Sprüche rezitiert werden. Die Uhr erleichterte so das durchgetaktete Tempelleben sehr. 

Interessant ist bei der Uhr vor allem die Gestaltung des Inneren: Oben auf dem Rand stehen die zwölf ägyptischen Monatsnamen. Unter jeder Monatsinschrift befindet sich eine Skala mit elf etwa 4 mm eingetieften Punkten (siehe Bilderreihe). Unter jeder Skala sind abwechselnd die Hieroglyphen für «Leben» (das Anch) und für «Dauer» (Djed-Pfeiler) eingearbeitet worden, die zeitgleich auch den zwölften Punkt auf der Skala repräsentieren. Die Skalen unterscheiden sich auch in der Länge und berücksichtigen damit einigermassen gekonnt die unterschiedlichen Längen der Tage und Nächte durch die Jahreszeiten hindurch. 

Die Funktionsweise der Wasseruhr ist simpel: Sie muss am Beginn des Tages oder der Nacht gefüllt werden. Danach leert sie sich langsam und in regelmässigen Abständen durch die Auslauföffnung. Beim Ablesen muss darauf geachtet werden, dass der richtige Monat erwischt wurde. Beim Füllen und Ablaufen gibt es aber noch ein paar technische Tücken. Die Forscher sind sich bis heute uneinig, bis wohin die Uhr wohl aufgefüllt werden muss: Randvoll? bis zur obersten Markierung oder fehlt sogar noch ein Stück mit einem Füllrandstrich? 

Dazu fehlt das Ausflussröhrchen und damit kann nicht genau eingeschätzt werden, wie viel und wie schnell Wasser ausgelaufen ist. Die Ganggenauigkeit ist abhängig von der angenommenen Grösse und Art der Ausflussöffnung. Aber auch die Umgebungs- und Wassertemperatur spielen eine grosse Rolle – warmes Wasser fliesst schneller ab. Daher ist sich auch hier die Forschung noch uneinig, ob die Uhr einigermassen exakt ging, oder ob es da Abweichungen von mehreren Minuten oder gar Stunden gibt. 

Auf der Aussenseite des Gefässes sind noch weitere Himmelsdarstellungen in drei Registern zu sehen (siehe Bild unten). Im obersten Register sind die Dekansterne (D) und die Planeten Merkur, Venus, Jupiter und Saturn in Booten (P) dargestellt. Auch Isis-Sothis, Orion und der Pharao selbst sind da zu finden. Das mittlere Register zeigt in der Mitte die nördlichen Sternbilder (C), links und rechts davon sind die Mondmonatsgötter dargestellt (A). Im unteren Register ist der König mit den zwölf Mondmonatsgöttern platziert (M) und das X steht für weitere kosmische Gottheiten. 

Votivobjekt oder konservative Priester?

 

Wenn nun alle Beschriftungen und Angaben zu den Monaten, Zeitlängen etc. zusammengesetzt betrachtet werden, sehen die Ägyptologen, dass das Instrument nach ca. 300 Jahren alten Plänen gefertigt wurde. Denn die Lage der kürzesten und längsten Nacht des Jahres stimmt nicht überein mit der Zeit, in dem die Uhr angeblich geschaffen wurde. Die exakte Datierung der Wasseruhr ist durch die Kartusche von Amenophis III. auf der Aussenseite gegeben und kann daher als gesichert gelten. Hätte man diese Kartusche nicht, würde man das Gefäss ins 18. oder 17.  Jahrhundert vor Christus datieren.

 

Warum also besass einer der grössten Tempel des Landes eine veraltete Wasseruhr? Dazu hat die Forschung zwei mögliche Erklärungen. Es könnte sich bei der Uhr um ein Votivobjekt (symbolische Opfergabe) gehandelt haben, dass nie benutzt und nur im Tempel aufgestellt wurde. Dieses wurde dann zur passenden Zeit rituell entsorgt. Wurde es aber tatsächlich im Tempeldienst benutzt, hätten die Priester immer alles passend umrechnen müssen. Dies hätte zwar zur konservativen Einstellung gepasst, wäre aber anstrengend gewesen. Die altägyptische Priesterschaft neigte dazu jeglichen Fortschritt oder Anpassung zu unterbinden. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, dass die passenden Daten und Zeiten nur aufgemalt gewesen waren. Diese wären dann einfach zu ändern gewesen und sie hätten die Uhr so schneller anpassen können. Die Malerei überlebte aber natürlich die Jahre nicht und ist für uns nicht mehr rekonstruierbar. So oder so, auch hier ist sich die Forschung ungewiss und wir können nur Mutmassungen aufstellen.

Dennoch tut dies der Schönheit und der Praktikabilität der Klepsydra aus Karnak keinen Abbruch und die Wasseruhr an sich überlebte noch weitere Jahrhunderte. Sie wurden ausgeklügelter und bekamen auch Räder und Hemmungen. Die Uhren wurden in ihrer Bauform eleganter und mit Gongs versehen, um die vollen Stunden geräuschvoll mitzuteilen. In ihrer Weiterentwicklung kamen noch Automaten und Glockenspiele dazu. So wurden sie zu beliebten königlichen Geschenke! 

Literatur:

  • Roland Färber & Rita Gautschy, Zeit in den Kulturen des Altertums. Antike Chronologie im Spiegel der Quellen, 2020, Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln. Rita Gautschy, Eine Wasseruhr aus der Zeit des Pharaos Amenophis III. Q6, S. 87-94. 
  • Artikel: Beschreibung der Hieroglyphen auf der Wasseruhr
  • Kurze Beschreibung und Bilder eines Gipsabgusses: Digitales Deutsches Museum
  • Ludwig Borchardt, Die altägyptische Zeitmessung, Berlin 1920.
  • Anette Schomberg, «The Karnak Clepsydra and its Successors: Egypt’s Contribution to the Invention of Time Measurement», in: Jonas Berking (Ed.), Water Management in Ancient Civilizations, Berlin: Edition Topoi, 2018, S. 321-346. PDF